Raumbilder von «anno dazumal»

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Raumbilder von «anno dazumal»

Das Buch «Raumbilder von anno dazumal – Uri auf Stereofotografien von 1860 bis 1925» weist zwei Schwerpunkte des Interesses auf. Der erste ist das Land Uri selbst, ein Gebirgstal wie kein anderes. Es fasziniert durch seine einmalige Situation im Zentrum der Alpen, als kürzeste Schnittstelle, die einen raschen Übergang nach Süden ermöglicht und durch die darauf basierende historische Rolle. Dann beeindruckt die topografische Konfiguration: ein engwandiges, steiles Gebirgstal, das sich nach einer bedrückenden, wasserdurchtosten Schlucht zu einem lichtdurchflutenten Hochtal weitet, gleichsam als eine Vorwegnahme der südlichen Helle, zu der man anschliessend über eine Passschwelle gelangt.

Naturgemäss zog eine solche Region mit ihren dramatischen landschaftlichen Extremen schon früh auch die Fotografen unter den Reisenden an, Amateure und Professionelle. Es bestand eine rege Nachfrage nach entsprechenden Souvenirs. So existiert ein bedeutender Schatz fotografischer Ansichten von Urner Landschaften, Strassen, Brücken und Siedlungen – weit mehr und früher als für andere Gebirgstäler. Aber dieser Schatz liegt nicht einfach in einem Dornröschenschlaf, harrend der Erweckung. Dafür braucht es den Schwerpunkt Nummer zwei: den begeisternden, unermüdlichen Sammler – denn ein solcher Fundus muss einzeln zusammengetragen und gehortet werden. 
Der Autor Ruedi Gisler-Pfrunder vereinigt beide Schwerpunkte. Schon als Bub war er von «altem Zeug» fasziniert. Er begann Stiche und Aquarelle zu sammeln. Später interessierte er sich für Fotografien, besonders für Stereo-Aufnahmen, von denen er heute rund 600 über Uri besitzt. Man spürt, dass der Sammler hier in seinem Paradiesgärtchen weilt. Der Autor definiert sich als «Heimweh-Urner». Über die Fotografien kann dieses angebliche Heimweh gestillt werden – das mag aber eher Ausdruck von Heimatverbundenheit und einer gewissen rückwärtsgerichteten Melancholie sein. Der Sammler und Autor definiert im Umgang mit den Stereofotografien seiner Heimat ein Stück weit seine kulturelle Identität. Der Leser erhält über deren Darbietung und Interpretation Einsichten in diese Vergangenheit.

Aus dem Geleitwort von Paul Hugger.
Professor für Völkerkunde, ETH Zürich